Martin Ellermann, Jahrgang 1968, aufgewachsen in Quelle, besuchte die Grundschule in Quelle und die Realschule Brackwede. Nach der Ausbildung im mittleren Dienst der Stadt Bielefeld folgten Abitur am Abendgymnasium, Duales Studium zum Diplom-Verwaltungswirt (FH), Aufbaustudium mit Abschluss zum Diplom-Kaufmann (FH) in 2005. Er wurde stellvertretender Amtsleiter in Gadderbaum und anschließend Bezirksmanager im Büro des Rates der Stadt Bielefeld. Im Jahre 2011 wurde er zum stellvertretenden Leiter des Bezirksamtes Brackwede ernannt. 2012 stellte er sich dann als Kandidat für das Amt des Bürgermeisters der Gemeinde Harrislee in Schleswig-Holstein zur Verfügung und wurde auf Anhieb mit 50,43 Prozent der Stimmen gewählt. Bei der Bürgermeisterwahl 2018 trat er erneut an – diesmal als einziger Bewerber – und erzielte 87,57 Prozent Zustimmung. |
QB: Herr Ellermann, im Jahre 2012, vor fast genau acht Jahren, haben Sie die sicher wohlüberlegte Entscheidung getroffen, ins kalte Wasser zu springen und sich für das Bürgermeisteramt der Gemeinde Harrislee an der dänischen Grenze beworben. Die Wahl konnten Sie im ersten Anlauf gewinnen. 2018 bestätigten die Bürger Sie überzeugend. Würden Sie rückblickend sagen, der Sprung kam genau zum richtigen Zeitpunkt, also alles richtig gemacht? Bielefeld ist Vergangenheit?
Ellermann: Nun, ich glaube, damals zumindest nicht alles falsch gemacht zu haben. Offenbar kam meine Bewerbung um das Amt des Bürgermeisters tatsächlich zum richtigen Zeitpunkt, aber auch eine gute Portion Glück mag eine Rolle gespielt haben. Sich einem solchen Wettbewerb zu stellen, hat mir jedenfalls Spaß gemacht, denn durch die Ausbildungen und die beruflichen Stationen fühlte ich mich für die neuen Herausforderungen gut gerüstet. Gerade die konstruktive Arbeit für die Bezirksvertretungen und insbesondere für Bezirksbürgermeister/innen haben mir einen Erfahrungsschatz beschert, der hilfreich war. Mit der Gadderbaumer Bezirksbürgermeisterin Hannelore Pfaff bin ich übrigens bis heute freundschaftlich verbunden.
Den Wahlabend in Harrislee werde ich natürlich mein ganzes Leben nicht vergessen, denn auf einmal erwuchs aus einem kleinen Abenteuer die Gewissheit, das gewohnte, geschätzte Umfeld verlassen zu müssen. Trotz der Dankbarkeit über das Vertrauen, das die Harrisleer Wählerinnen und Wähler mir als Ostwestfalen ausgesprochen hatten, schwang natürlich auch Wehmut mit. In Bielefeld leben meine Eltern, meine Schwester mit Familie, frühere Freunde usw. Daher komme ich immer wieder gern in die alte Heimat zurück, wenn die Zeit es zulässt. Insofern ist Quelle bzw. Bielefeld nicht Vergangenheit, sondern weiterhin Teil meiner Gegenwart.
QB: Thomas Kopsieker schrieb am 4.9.2012 in der Neuen Westfälischen: Martin Ellermann meinte nach einer ersten Analyse: „Vielleicht hat ja gerade die Tatsache, dass ich keiner Partei angehöre, zu meinem Wahlerfolg beigetragen.“ Sehen Sie das heute immer noch so, auch und gerade im Hinblick auf die Wahl am 6.5.2018 oder hat sich mit den Jahren ergeben, diese Aussage zu überdenken?
Ellermann: Als parteiloser Kandidat bin ich 2012 von der CDU aufgestellt worden, allerdings bis heute ohne irgendein Parteibuch geblieben. Ein Bürgermeister als Chef der Verwaltung hat ja unter anderem die Aufgabe, die Beschlüsse der gemeindlichen Gremien vorzubereiten und auszuführen. Mit meinem Team im Harrisleer Bürgerhaus möchte ich die Arbeit überparteilich gestalten, dafür brauche ich persönlich Unabhängigkeit. Kurz vor meiner Wiederwahl 2018 konnte ich dankbar auf die mir gegenüber offen ausgesprochene Unterstützung aller drei in der Gemeindevertretung vertretenen Parteien SSW, CDU und SPD blicken.
Oberbürgermeister Pit Clausen gab mir übrigens 2012 bei meiner Verabschiedung von der Stadt Bielefeld in seinem Dienstzimmer als guten Tipp mit auf den Weg: „Bleiben Sie bei all Ihren Entscheidungen stets Ihren eigenen Prinzipien und Überzeugungen treu, dann können Sie eigentlich nichts falsch machen.“
QB: Wo sehen Sie Ihre Schwerpunkte für die nächsten Jahre, was die Entwicklung der Gemeinde Harrislee angeht?
Ellermann: Harrislee hat sich in den letzten Jahren enorm weiterentwickelt und durch die Neubaugebiete sind insbesondere junge Familien dazu gekommen. Das sichert einerseits unsere Zukunft, andererseits stehen hohe Ausgaben im Rahmen der Daseinsfürsorge an. Es gilt, neue Kita- und Krippengruppen zu errichten und für die größte Schule in Harrislee, die Zentralschule mit über 800 Schülerinnen und Schülern, bauen wir gerade vier neue Grundschulklassen an. Im Rahmen eines Landesprogramms zur Städtebauförderung, dem wir uns erstmalig anschließen konnten, werden wir in den nächsten Jahren die Infrastruktur mit Hilfe von Fördergeldern weiter ausbauen können. Die gemeindliche Schwimmhalle muss erneuert werden, das Haus der Kinder und der Jugend sowie die Mensa unserer Schule platzen aus allen Nähten, die Bücherei ist viel zu klein und in die Jahre gekommen. Überhaupt erfreuen sich Gewerbeflächen einer hohen Nachfrage, die nicht immer sofort bedient werden kann. In den nächsten Jahren wird außerdem die Nachverdichtung im urbanen Zentrum der Gemeinde für seniorengerechtes Wohnen zunehmend eine Rolle spielen. Wie werden uns also insgesamt der Frage widmen müssen, wie eine nachhaltige Entwicklung gelingen kann, die alle Anspruchsgruppen berücksichtigt.
QB: Harrislee liegt, wie gesagt, direkt an der dänischen Grenze. In der Gemeindevertretung (dem Rat der Gemeinde) ist die größte Fraktion der Südschleswigsche Wählerverband (SSW). Wie gut sind Verbindungen zur dänischen Minderheit in Harrislee, und wie lassen sich deren Belange in Ihre Entscheidungen einfließen? Haben Sie inzwischen gar dänische Sprachkenntnisse?
Ellermann: Jeg ønsker dig en god jul og et godt nytår (Ich wünsche Ihnen frohe Weihnachten und ein gutes neues Jahr). Also, für einen einfachen Smalltalk bei Begegnungen reichen meine Dänisch-Kenntnisse gerade so. Das ist sicher noch ausbaufähig. Bei öffentlichen Reden versuche ich allerdings oft, einige dänische Sätze einfließen zu lassen. Es wird glücklicher Weise nicht erwartet, perfekt zu sein und ich bekomme Hilfe.
Die Grenze zwischen Dänemark und Deutschland existiert mit heutigem Verlauf aufgrund einer Volksabstimmung ja erst seit 1920. Sie teilte das ehemalige Herzogtum Schleswig, trennt die beiden Teile aber nicht. Aufgrund der wechselvollen Geschichte der Grenzregion Sønderjylland-Schleswig gibt es seitdem insbesondere in den Kreisen Schleswig-Flensburg und Nordfriesland eine relativ große dänische Minderheit, sowie andererseits auf dänischer Seite eine deutsche Minderheit. Der Schutz der dänischen Minderheit und die Gleichstellung sind rechtlich nicht nur garantiert, sondern gelebte Praxis. Gerade Harrislee wird durch dänische Institutionen, wie beispielsweise einer Schule, einem Freizeitheim, einem Kulturzentrum und drei Kitas besonders bereichert. Die Zusammenarbeit klappt gut. Im letzten Jahr besuchte die dänische Königin Margrethe II. offiziell neben Flensburg auch das Industriemuseum im Harrisleer Ortsteil Kupfermühle. Das Museum mit historischem Wasserrad befindet sich in den späteren Industriehallen der Fabrik, die Christian IV., damals König von Dänemark und Norwegen, im Jahr 1633 gegründet hatte. Es war mir natürlich eine Ehre, die Königin begrüßen zu dürfen, die sich in das goldene Buch der Gemeinde eintrug. Ich denke, das zeigt auch die enge Verbundenheit mit den dänischen Nachbarn und die gemeinsame Geschichte.
QB: Welche Bedeutung hat der kleine Grenzverkehr mit Dänemark für die Gemeinde Harrislee aus wirtschaftlicher Sicht?
Ellermann: Eine offene Grenze ist aus dem beschriebenen historischen Grund nicht nur in sozialer Hinsicht enorm wichtig, sondern auch für die Wirtschaft in der ganzen Region, beispielsweise auch für Flensburg. Von den zahlreichen Tagesgästen aus Dänemark aufgrund des Preisgefälles zwischen beiden Ländern profitieren neben den Grenzhandelsgeschäften auch andere Branchen, wie die Gastronomie zum Beispiel. Rund 40 Prozent der Harrisleer Gewerbesteuereinnahmen stammen aus dem Grenzhandel, was natürlich andererseits eine sensible Anhängigkeit bedeutet. Eine Schließung der Grenze Richtung Schleswig-Holstein aufgrund der Corona-Pandemie traf bzw. trifft die Betriebe dann besonders hart.
QB: In greifbarer Nähe liegt auf der dänischen Seite direkt an der E45 der Ort Padborg, Eisenbahnknotenpunkt und Sitz vieler Transport- und Distributionsunternehmen für den dänischen Im- und Export. Wie gestaltet sich der Kontakt zu dänischen Bürgern und Amtsträgern, trotz Wildschweinzaun und unterschiedlicher Corona-Maßnahmen?
Ellermann: Wir merken, dass viele dänische Unternehmen direkt hinter der Grenze bei uns ein Standbein aufbauen wollen, das kommt der Gemeinde zugute. Ein deutsch-dänisches „Regionskontor“ fungiert sogar als Ansprechpartner bei grenzüberschreitenden Fragen von Arbeitnehmer/innen, Unternehmen sowie Bürgerinnen und Bürgern, Organisationen oder Behörden.
Padburg (Padborg) gehört zum Bezirk der dänischen Kommune Apenrade (Aabenraa), die rund 30 km von Harrislee entfernt liegt. Ich pflege ein gutes Verhältnis zum dortigen Bürgermeister. Aufgrund seiner Vorfahren bzw. familiären Verhältnisse spricht er, zu meiner Erleichterung, sehr gut Deutsch. Hilfreich sind auch die Beziehungen zum dänischen Generalkonsul in Flensburg. Nach meinen Erfahrungen sind auch die Bürgerinnen und Bürger in Nordschleswig, also auf der dänischen Seite, gegen den Wildschweinzaun, weil dadurch wieder optisch eine Grenze manifestiert wird. Allerdings waren Proteste auf beiden Seiten unwirksam. Die derzeitigen Grenzkontrollen in Dänemark, sogar an der „grünen Grenze“, sind da auch nicht unbedingt förderlich. Ich bin aber überzeugt, dass das gute Miteinander langfristig keinen Schaden nehmen wird.
QB: In der dänischen Sprache gibt es einen besonderen Begriff für gemütlich: hyggelig. Was empfinden Sie als besonders hyggelig?
Ellermann: „Hygge“ ist ein Teil der dänischen Lebensweise, den ich schätze. Das kann ein gemeinsames Essen oder nur ein Moment sein, in einer besonderen, gemütlichen Atmosphäre. Ich empfinde das zum Beispiel beim Sonnenaufgang über der Flensburger Förde mit einem Kaffee im Gepäck. Aber für Hygge muss es nicht unbedingt ganz ruhig zugehen. Bei den deutsch-dänischen Kulturtagen in Harrislee entsteht oft so eine Stimmung in Gemeinschaft und als Bürgermeister habe ich Pflicht und Privileg zugleich, mit dabei sein zu dürfen. Neudeutsch kann man vielleicht formulieren: „Einfach mal mental runterfahren.“ Das fällt mir persönlich allerdings oft schwer.
QB: Auf der einen Seite grenzt die Flensburger Förde direkt an die Gemeinde Harrislee, auf der anderen sind es nur gut 70 Kilometer zur Nordseeküste, ideale Lage für Wassersportler. Gibt es einen Wassersport dem sie frönen und bei dem Sie Entspannung von Ihrem anspruchsvollen, zeitaufwändigen Amt finden und wie sind die Möglichkeiten am Ort?
Ellermann: Meine Arbeit ist zwar in der Tat sehr zeitintensiv, viele Sitzungen und Termine beginnen erst in den Abendstunden, aber anderseits empfinde ich die vielfältigen Begegnungen und Aufgaben bereichernd. Wassersport? Wir haben im Harrisleer Ortsteil Wassersleben zwar einen großen Segelhafen, aber dieses Hobby ist bislang viel zu kurz gekommen, denn die Familie steht natürlich an erster Stelle.
Orte zur Entspannung, wie das in der Eiszeit entstandene Niehuuser Tunneltal oder Strände an Nord- und Ostsee gibt es reichlich. Durch die Nähe zu Flensburg kann ich gleichzeitig die Annehmlichkeiten und Freizeitangebote einer größeren Stadt nutzen. Harrislee – im Bundesland zwischen den Meeren – an der wundervollen Flensburger Förde mit eigenen Strand, ist also immer eine Reise wert. Meine Abschiedsreden im Bezirksamt Brackwede und in der Bezirksvertretung Gadderbaum endeten 2012 mit dem Spruch: „Sehen wir uns nicht auf dieser Welt, so sehen wir uns in Bielefeld. Aber auch eine gute Idee: In Harrislee“. Etwas Werbung darf an der Stelle sein, oder?
QB: Rød Pølse Hot-Dog oder Currywurst mit Pommes und Mayo?
Ellermann: Sehr schwer zu entscheiden, denn beides passt wunderbar in diese deutsch-dänische Grenzregion.
QB: Smørrebrød oder Mettbrötchen mit Zwiebeln?
Ellermann: Mettbrötchen mit Zwiebeln.
QB: Salzwiesenlamm oder Westfälischer Pfefferpotthast?
Ellermann: Salzwiesenlamm.
QB: Risalamande oder Pickert mit Rübenkraut?
Ellermann: Pickert mit Rübenkraut
QB: Flensburger oder Detmolder Landbier?
Ellermann: Flensburger. Übrigens ernte ich meist irritierte Blicke, wenn mir im Norden mal versehentlich Begriffe wie Pömpel (das ist hier nämlich kein Poller im Straßenverkehr), Pölter, Patt oder Pickert über die Lippen kommen.
QB: Ihre Eltern wohnen in Quelle. Was verspüren Sie bei einem Besuch in der alten Heimat, mischt sich neben der Wiedersehensfreude auch ein Hauch von Heimweh nach dem Ort am Teutoburger Wald?
Ellermann: Natürlich freue ich mich immer wieder, meine Eltern zu sehen und im Elternhaus sein zu können. Es zieht mich also stets wieder in die alte Heimat. In Bielefeld-Quelle bzw. Brackwede liegen schließlich meine Wurzeln und eine glückliche, behütete Kindheit sowie Jugend habe ich da verbracht. Sobald das Ortseingangsschild naht, kommen etliche schöne Erinnerungen zurück. Das wird immer so bleiben.
QB: Herr Ellermann, herzlichen Dank für die Bereitschaft, sich unseren Fragen zu stellen. Das Queller Blatt und mit ihm sicher viele Queller Bürger wünschen Ihnen für die Bewältigung der herausfordernden Aufgaben Ihres Amtes eine sichere Hand und persönlich Glück und Gesundheit für die Zukunft.
Die Fragen stellte Horst Brück; Fragen und Antworten wurden auf digitalem Weg gewechselt. Harrislee, nördlich von Flensburg, ist eine Gemeinde mit ca. 11.700 Einwohnern im Bundesland Schleswig-Holstein, sie liegt unmittelbar an der dänischen Grenze im Kreis Schleswig-Flensburg auf 43 NHN und umfasst 18,92 Quadratkilometer. Die erste Bebauung erfolgte 1345 durch die Burg Niehuus. Harrislee wurde 1352 im Domkapitel zu Schleswig als „Haringslof“ erstmalig schriftlich erwähnt. (Quelle: Wikipedia)