Eigentlich war Regen angesagt für diesen Wandertag. Als sich aber die knapp 20 Wanderer vor dem Gemeinschaftshaus in Quelle trafen war es zwar sehr kühl, aber trocken. So startete man frohgemut und forschen Schrittes über den Biohof Bobbert und die Alleestraße, vorbei an der Klosterruine am Jostberg, in Richtung Olderdissen. Der Wind schlug uns und den Tieren die Geräuschkulisse der nahen Alm um die Ohren: Fußballsamstag! Am alten Pavillon am Johannisberg nahm uns Wolfgang Herzog vom Arbeitskreis „Zwangsarbeit in Bielefeld“ in Empfang. Mit ihm hatten wir eine Führung über den neu gestalteten Platz mit den Denkmalen vereinbart. Hier, wo heute Wohnmobile parken und ein Klettergarten Mutige einlädt, war ab 1942 ein Lager für Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter eingerichtet. Bis zur Befreiung im Jahre 1945 waren auf diesem Platz mehr als 10.000 Menschen, verschleppt aus Polen, Russland und der Ukraine zusammen mit Gefangenen aus Frankreich, Holland und Italien hier eingepfercht. Sie hatten Zwangsarbeit bei den Dürkopp-Werken zu leisten, ein Betrieb, groß geworden durch den Bau von Nähmaschinen und Fahrrädern, der ab 1933 fast komplett auf Rüstungsindustrie umgestellt worden war. Im Osten hatte man ausschließlich junge Mädchen und Frauen zusammengetrieben. Aus dem Westen waren es nur Männer die zur Zwangsarbeit verurteilt wurden. Um deutlich zu unterscheiden, dass die Menschen aus den Ostländern als „Untermenschen“ anzusehen waren, mussten sie einen Aufnäher mit der Bezeichnung „OST“ an der Kleidung tragen. Dazu war die Behandlung und Versorgung für sie wesentlich schlechter. Wolfgang Herzog klärte darüber auf, dass erst im Jahre 1989 erstmalig die Geschichte dieses Lagers erwähnt und aufgearbeitet wurde. Im Jahre 2004 waren auf Einladung ehemalige Insassinnen nach Bielefeld gekommen und hatten als Zeitzeugen über ihre Erlebnisse berichtet. Zwischen 14 und 19 Jahre alt waren die jungen Menschen die hier in einem 12 Stunden Rhythmus unter erbarmungswürdigen Umständen vegetierten. 12 Stunden Schicht bei Dürkopp an den Munitionsmaschinen wechselten mit 12 Stunden Hunger und Kälte im Barackenlager. Auf dem Gelände ist mit einem Stahlband der Umriss einer Baracke angedeutet. „Der Hunger ließ uns nicht los“ ist auf dem Band eingraviert. „Kein warmes Wasser, keine Watte, keine Tücher und kein Toilettenpapier“ zeugt an anderer Stelle von der unmenschlichen Behandlung. Während des Rundgangs hatte ein eiskalter Wind eingesetzt. Hautnah spürten die Besucher wie erbärmlich sich damals die Menschen an dieser Stelle gefühlt haben müssen, ohne warme Jacken, dicke Schuhe und Schals. Die Skulptur „Unter Zwang“ der Künstlerin Susanne Albrecht wurde im November 2010 der Öffentlichkeit übergeben. Die in einer Betonplatte eingepferchten Bäume zeigen deutlich was sich hier abgespielt hat: Unter Zwang leben. Nach einem Dank an Wolfgang Herzog schritten die Teilnehmer der Führung nachdenklich und frierend schnellen Schrittes zum Hof Olderdissen um sich bei einem heißen Getränk aufzuwärmen. Auch das war damals nur den Besuchern vergönnt, die zum „Russen gucken“ neugierig aus der Stadt auf den Berg wanderten. Auch auf dem Heimweg nach Quelle war die Geschichte des Lagers „Bethlem“ dort auf dem Johannisberg Grundlage vieler Gespräche der Wanderer. Wegen der zunehmenden Kühle wurde der Gang über den Natur- und Kulturerlebnispfad Blömkeberg in der Hoffnung auf wärmere Tage verschoben. |
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